Wer den Markgrafenaltar von St. Laurentius aufmerksam betrachtet, der wird schnell bemerken, dass eine der Figuren zwei goldene Hörner auf dem Kopf hat. Es handelt sich dabei um die Figur des Mose links neben der Kanzel. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass es sich dabei um einen Fehler handelt. Aber die Wahrheit ist komplizierter.
Mose im Alten Testament
Mose ist eine der wichtigsten Gestalten des Alten Testaments. Das zweite Buch Mose erzählt davon, wie Mose als Kind von seiner Mutter ausgesetzt und dann von einer ägyptischen Prinzessin gefunden wurde. Obwohl er am Hof des Pharaos aufwuchs, war er sich seiner Herkunft bewusst. Als er sah, wie ein Ägypter einen seiner Landsleute schlug, tötete Mose den Ägypter. Danach floh er aus Ägypten und lebte ein unauffälliges Leben als Hirte.
Eines Tages sprach Gott zu ihm aus einem brennenden Dornbusch. Gott wollte Mose zurück nach Ägypten schicken, um das Volk der Israeliten zu befreien. Aber Mose weigerte sich. Er erfand immer neue Ausreden, um nicht gehen zu müssen. Am Ende ließ ihm Gott keine Wahl.
Zehnmal ging Mose zum Pharao und kündigte Plagen an, bis die Israeliten Ägypten endlich verlassen durften. Mose führte das Volk zum Fuß des Berg Sinai. Auf dem Berg sprach Gott erneut zu Mose. Dort gab Gott Mose auch die Zehn Gebote.
Vom Berg Sinai aus begann die 40-jährige Wanderung durch die Wüste. Mose führte sein Volk bis an die Grenze des Landes Kanaan. Kanaan war das Land, das Gott den Israeliten versprochen hatte. Betreten durfte Mose das Land allerdings nicht. Zu oft hatten er und seine ganze Generation sich an Gott versündigt. Mose starb und wurde an der Grenze zum verheißenen Land begraben. Die Kinder derer, die damals aus Ägypten auszogen, nahmen nun das verheißene Land in Besitz.
Mose als Symbolfigur
Aus historischer Sicht gibt es keinen Zweifel daran, dass es eine wichtige Person in der Geschichte Israels gab, die den Namen Mose trug. Wer sie aber genau war und was sie getan hat, kann heute niemand mehr mit Sicherheit sagen. Mose wurde in Israel schnell zu einer Art Nationalheiligem. Immer mehr Geschichten und Legenden wurden ihm angedichtet.
Im Judentum zur Zeit Jesu wurde Mose hoch geschätzt. Er galt nicht nur als Übermittler der Zehn Gebote, sondern der ganzen Tora (fünf Bücher Mose). Außerdem galt er als Vorbild im Glauben.
Was Juden an Mose schätzten, wurde von den Christen abgelehnt. Sie sahen in Mose den Vertreter einer Gesetzesreligion und einer falschen Frömmigkeit. Paulus bspw. war überzeugt, dass niemand durch das Gesetz des Mose in den Himmel kommt, sondern allein durch seinen Glauben an Jesus Christus.
Die Hörner – Vom Übersetzungsfehler zum Markenzeichen
Dass Mose Hörner hatte, taucht erstmals in der lateinischen Bibelübersetzung des Hieronymus auf. Als Hieronymus das Alte Testament vom Hebräischen ins Lateinische übersetzte, machte er einen Fehler. 2. Mose 34,29 erzählt davon, dass das Gesicht des Mose hell strahlte, als er vom Berg Sinai herabkam. Seine Begegnung mit Gott hatte ihn verändert. Hieronymus aber übersetzte cornuta esset facies sua »sein Gesicht war gehörnt«.
Die ältesten Darstellungen des Mose mit Hörnern dürften also auf diesen Übersetzungsfehler zurückgehen. Die lateinische Bibelübersetzung des Hieronymus wurde schließlich im Mittelalter und der Antike im ganzen westlichen Europa benutzt.
Der Fehler erklärt aber nicht, warum die Figur des Mose in St. Laurentius Hörner hat. Der Künstler, der die Figur in den 1790er Jahren schuf, las natürlich die Bibel in der Übersetzung Martin Luthers. Überhaupt wusste man schon lange vor Martin Luther vom Fehler des Hieronymus. Aber die Hörner des Mose haben sich in der christlichen Kunst schnell zu einem Markenzeichen für Mose entwickelt. Dank der Hörner war Mose auch dann zu erkennen, wenn er keine Gebotstafeln in der Hand hatte. Außerdem waren die Hörner für Bildhauer praktisch: Hörner auf dem Kopf waren leicht darzustellen. Ein hell erleuchtetes Gesicht aber war bildhauerisch schwierig umzusetzen; das war nur durch zusätzliche Bemalung möglich. Die Gläubigen hatten sich schnell an die Darstellung mit den Hörner gewöhnt. Wurden Mose-Figuren in Auftrag gegeben, bestellte man den typischen Mose mit Hörnern.
Bei den meisten Mose-Abbildungen, die heute existieren, war man sich also durchaus bewusst, dass Mose in der Bibel keine Hörner nachgesagt werden. Der Mose von St. Laurentius trägt Hörner, weil sie für die Menschen so selbstverständlich zu Mose gehörten wie Gebotstafeln und Bart.