In der Sakristei von St. Laurentius steht eine außergewöhnliche Heiligenfigur aus der Werkstatt von Tilman Riemenschneider. Es handelt sich um Maria mit dem Jesuskind. Als sogenannte Mondsichelmadonna steht Maria auf dem Mond, der als Gesicht dargestellt ist.
Die Begeisterung der Gläubigen für Maria
Die Gläubigen waren seit jeher von Maria, der Mutter Jesu, fasziniert. Schon in den ersten Jahrhunderten nach Jesu Tod erhielt sie einen festen Platz in der Volksfrömmigkeit. Priester und Bischöfe kritisierten das. In der Bibel spielt Maria nämlich keine große Rolle. Aber diese Bedenken stießen auf taube Ohren.
Ab dem Mittelalter gab es dann eine richtige Marien-Begeisterung unter den Gläubigen. Die Menschen wollten alles von Maria wissen. In der Bibel finden sich leider nicht viel Informationen über sie. Darum freute man sich über jede Legende.
Wie Maria zur Raumfahrerin wurde
Auf der Suche nach Informationen über Maria wurden die Gläubigen im letzten Buch der Bibel fündig. In Offenbarung 12,1−5 schildert der Seher Johannes eine Vision: Johannes beschreibt eine schwangere Frau, die er am Himmel sieht. Sie trägt die Sonne als Kleid und eine Krone aus Sternen auf ihrem Kopf. Mit ihren Füßen steht sie auf dem Mond. Im Folgenden beschreibt er dann die Geburt ihres Kindes und die Bedrohung der beiden durch einen großen Drachen.
Wahrscheinlich spricht Johannes überhaupt nicht von Maria. Wie bei allen seinen Visionen handelt es sich auch hierbei um Bilder und Symbole. Die Frau symbolisiert wahrscheinlich die Gemeinde der Christen, der Drache steht für den Satan. Die Gläubigen aber haben den Text wörtlich genommen und so die Frau für Maria gehalten.
Sämtliche Darstellungen, die Maria auf einem Vollmond oder einer Mondsichel zeigen oder mit einer Krone aus Sternen auf dem Kopf, gehen also auf die Offenbarung des Johannes zurück. Alle diese Darstellungen fasst man heute unter dem Ausdruck Mondsichelmadonna zusammen.
Vom Vollmond zum Halbmond
Als die von der Johannesoffenbarung inspirierten Darstellungen im 14. Jahrhundert das erste Mal auftauchten, gab es viele, die Maria auf einen Vollmond zeigen. Meistens war im Vollmond ein Gesicht dargestellt. Das Gesicht steht für die Welt der Dämonen, über die königliche Madonna triumphiert.
Ab dem 15. Jahrhundert setzte sich dann schnell die Darstellung als Halbmond durch. Der Grund dafür waren die Kriege gegen die einfallenden Osmanen. Das Osmanische Reich breitete sich im 15. und 16. Jahrhundert immer weiter aus. 1453 eroberten die Osmanen das christliche Byzanz. 1529 belagerten osmanische Truppen Wien. Spätestens nach dem Sieg der sog. Heiligen Liga, einer Koalition christlicher Fürsten, über die Osmanen 1571 wurde die Madonna nur noch auf der Mondsichel dargestellt. Die Mondsichel stand nun für das Osmanische Reich, das von Maria zertreten wird.
Die Mondsichelmadonna wurde im 16. Jahrhundert so beliebt, dass man bestehende Madonnen-Figuren um Mondsichel und Sternenkrone ergänzte. Der Trend dauerte allerdings nicht lange. Im 17. Jahrhundert verschwand die Mondsichel aus den Madonnendarstellungen. An ihre Stelle trat nun die Schlange, ein Symbol für die Sünde.
Die Mondsichelmadonna von St. Laurentius
Die Madonna von St. Laurentius ist eine seltene Mischung zweier Stile. Maria steht zwar auf einer nach oben gerichteten Mondsichel. In der Mondsichel aber befindet sich ein Gesicht. Das Gesicht ist relativ neutral dargestellt. Nichts weist daraufhin, dass es sich dabei um einen Osmanen handeln soll. Trotz der Mondsichel dürfte die Figur also kaum von den Türkenkriegen beeinflusst sein. Auf der Schläfe des Mondmannes steht Marias rechter Fuß. Die Mondsichel ist leider wie die ganze Figur stark beschädigt. Die Spitze neben Marias Fuß ist abgebrochen. Das Blattgold, das einst die Mondsichel bedeckte ist vollständig verschwunden.
Die Darstellung stammt von einem unbekannten Künstler. Ähnlichkeiten mit anderen Werken lassen aber auf die Werkstatt von Tilman Riemenschneider schließen. Allerdings ist die Figur wohl nicht vom Meister selbst. Dennoch beeindruckt sie durch ihre lebensechten Gesichtszüge und den aufwändigen und realistischen Faltenwurf ihrer Kleider. Die 135 cm große Figur war einst mit verschiedenen Sorten Blattgold bedeckt. Die Haare wurden mit matten Gold bedeckt, die Kleider mit glänzendem. Wo kein Blattgold verwendet wurde, nutze der Künstler leuchtende Grün- und Blautöne für Maria Kleider. Marias Gesicht war ebenso wie Haut des Jesuskindes, das sie im Arm hält, rosa. Ihre Lippen leuchtendrot. Maria trägt eine Krone auf dem Kopf. Es ist gut möglich, dass ihr Kopf einst auch von einem Strahlenkranz oder Sternen umgeben war. Fast fünf Jahrhunderte achtloser Lagerung der Figur haben diese Details aber alle verschwinden lassen. Unklar ist auch, ob sie einst ein Zepter in ihrer rechten Hand hielt. Die Schäden an ihrer Hand sprechen dafür, dass sie einst etwas hielt, das später abgeschlagen oder versehentlich abgebrochen wurde.
Die Mondsichelmadonna stand ursprünglich im Schrein des Flügelaltares, der einst in St. Laurentius stand. (Mehr dazu erfahren Sie hier.) Heute steht sie in der Sakristei von St. Laurentius und kann bei Führungen besichtigt werden.