Der Blick der Besucher von St. Laurentius bleibt oft an der Figur rechts neben der Kanzel hängen. Die Besucher sehen die prächtige Kleidung der Figur und das Weihrauchgefäß in ihrer linken Hand und fragen: »Ist er katholisch?« Bei der Figur handelt es sich um Aaron, den Bruder von Mose, dem ersten Priester der Israeliten.
Aaron im Alten Testament – Sprachrohr, Priester und Rebell
Aaron gehört mit Mose zu den wichtigsten Personen des Alten Testaments. Das zweite Buch Mose erzählt, dass Aaron Moses Bruder war. Als Gott Mose berufen will, um die Israeliten aus Ägypten zu führen, hält Mose sich für unfähig. Darum stellt Gott ihm seinen Bruder Aaron zur Seite. Aaron sollte für Mose zum Pharao und zum Volk sprechen. So wurde Aaron als Sprachrohr an Moses Seite zum zweit wichtigsten Mann im Volk.
Gemeinsam brachten Mose und Aaron das Volk der Israeliten aus Ägypten und führten es in Richtung des Landes, das Gott den Israeliten verheißen hatte. Am Berg Sinai machten sie Halt. Dort übergab Gott Mose nicht nur die Zehn Gebote, sondern alle Gesetze, die in Israel gelten sollen. Darunter waren auch alle Gebote, die den Gottesdienst betrafen. Aaron wurde zum ersten Priester des Volkes. Aaron war für das reiche kultische Leben der Isareliten verantwortlich. Er hatte Sorge zu tragen für die täglichen Gottesdienste, für die Feiern an Festtagen und für die Opfer, die Gott für bestimmte Situationen des Lebens vorgeschrieben hatte. Zu den Opfergaben, die auf dem Altar verbrannt wurden, gehörte auch Weihrauch. Aaron hatte damit eine wichtige Mittlerfunktion zwischen Gott und dem Volk: Aaron stellte sicher, dass das Volk Gott ehrt und aus kultischer Sicht rein vor Gott dasteht. Dafür erhielt das Volk umgekehrt Gottes Wohlwollen, Nähe und Segen.
Aaron wird im Alten Testament aber nicht nur positiv dargestellt. Aaron ist auch mitverantwortlich, dass die Israeliten sich von Gott abwenden. Es war nämlich Aaron, der das Goldene Kalb baute. Außerdem war Aaron nicht mit Moses Führungsrolle einverstanden und rebellierte gegen ihn.
Aaron in St. Laurentius und seine biblische Vorlage
Das Priestergewand, das Aaron trug, wird im Alten Testament mehrfach sehr ausführlich in allen Details beschrieben (vgl. 2. Mose 28). Der Künstler Johann Caspar Fischer, der die Aaron-Figur von St. Laurentius geschaffen hat, hat sich sehr genau an die Vorlage gehalten. Alle wichtigen Teile der Priesterkleidung sind vorhanden: Der Schurz mit seiner mit zwölf Steinen besetzten Tasche auf der Brust, darunter das Obergewand mit seinen Glöckchen am Saum, darunter das hellblaue Untergewand, auf dem Kopf eine Art Turban mit goldener Platte. Im Detail gibt es zahlreiche Unterschiede: Am auffälligsten ist, dass die meisten in der Bibel genannten Farben nicht mit der Aaron-Figur übereinstimmen. In der Bibel werden Aarons Schurz und Obergewand als rot, violett und purpurn beschrieben. Die Darstellung des Aaron in St. Laurentius dagegen ist rot und bronzefarben. Die Abweichung mag damit zu tun haben, dass echtes Purpur der teuerste Farbstoff war und ist. Vielleicht kommt die Abweichung aber einfach daher, dass sich die Violett und Blau nicht in das einheitliche Farbkonzept des Altars von St. Laurentius eingefügt hätten.
Ebenfalls unbiblisch ist das Weihrauchgefäß, das Aaron in seiner Hand hält. Zwar berichtet die Bibel davon, dass Aaron auch Weihrauch im Gottesdienste benutzt. Aber er verbrannte ihn auf dem Altar oder in Schalen. Der Künstler hat Aaron aber nicht zufällig oder unwissentlich mit einem Weihrauchgefäß dargestellt. Tatsächlich wird Aaron in der christlichen Kunst meistens mit einem Räuchergefäß dargestellt. Wie kaum ein anderer Gegenstand steht das Räuchergefäß für den Kult und den Gottesdienst – aus evangelischer Sicht für den Kult und den Gottesdienst vergangener Zeiten. Aaron trägt also nicht deshalb das Weihrauchgefäß, weil er katholisch wäre oder die Figur aus katholischer Zeit stammen würde. Er trägt das Weihrauchgefäß, weil es jeden Betrachter an die stark kultischen Gottesdienste erinnert, die die Christen in der Antike und dem Mittelalter feierten und in der orthodoxen und katholischen Kirche bis heute feiern. Dem gegenüber stehen die stark wortlastigen und auf das Verstehen ausgelegten Gottesdienste der evangelischen Konfessionen.
Aaron in St. Laurentius – Eine Symbolfigur für den Gottesdienst
In St. Laurentius steht Aaron zusammen mit Mose für den Alten Bund Gottes mit seinem Volk Israel. Mose steht als Anführer des Volkes und Übermittler der Zehn Gebote für das Zusammenleben des Volkes gemäß Gottes Gebot. Mose hatte Sorge zu tragen, dass die Israeliten miteinander so umgingen, wie Gott das wollte. Aaron steht als erster Priester des Volkes für den Gottesdienst. Aaron hatte Sorge zu tragen, dass die Israeliten durch ihren Kult und ihre Gottesdienste Gott ehren und so Gott in Israel präsent ist und sich Gott den Israeliten zuwendet.
Auch wenn der Alte Bund dank Jesus Christus durch den Neuen Bund ersetzt wurde, sind auch heute noch die zwei Standbeine des christlichen Lebenswandels das Leben nach Gottes Gebot und die gemeinsame Feier des Gottesdienstes. Bis heute macht der Gottesdienst – das Hören auf Gottes Wort, der Zuspruch seiner Gnade und das Spüren seiner Gegenwart – die Christinnen und Christen stark für das Leben außerhalb der Kirchmauern.